Arzt- und Krankenhaushaftung: Einwand der hypothetischen Einwilligung in die Operation eines Narbenbruchs bei behaupteten Aufklärungsfehlern hinsichtlich des Risikos eines Darmverschlusses oder einer Darmverletzung; Glaubhaftmachungslast des Patienten (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 05. März 2019 – 12 U 171/18)
Glaubhaftmachung eines echten Entscheidungskonflikts nötig, um den Einwand der hypothetischen Einwilligung zu entkräften – pauschale Angabe der Nichtvornahme des Eingriffs reicht nicht
Das Brandenburgische Oberlandesgericht hat sich in seiner Entscheidung vom 05.03.2019 mit dem Einwand der hypothetischen Einwilligung auseinandergesetzt (12 U 171/18). Beruft sich der Arzt auf den Einwand der hypothetischen Einwilligung, hat der Patient glaubhaft zu machen, dass er sich bei ordnungsgemäßer Aufklärung in einem echten Entscheidungskonflikt befunden hätte.
Was war passiert?
Der Kläger verlangte von den Beklagten, einem Krankenhaus sowie dem behandelnden Arzt Schadensersatz und Schmerzensgeld. Er war wegen eines Leisten- und Narbenbruchs operiert worden und hatte einen Darmverschluss erlitten. Zudem habe ihn der behandelnde Arzt nicht hinreichend über die Risiken des Eingriffs aufgeklärt.
Die erste Instanz hatte die Klage abgewiesen und ausgeführt, dass dem Kläger nicht der Beweis gelungen sei, dass die Schädigung auf einem Behandlungsfehler der Beklagten beruhe. Auf Grund der nachvollziehbaren und gründlichen Ausführungen des Sachverständigen war das Gericht davon überzeugt, dass die Operation und die postoperative Behandlung lege artis erfolgt seien.
Mit seiner Berufung macht der Kläger nur noch die Verletzung von Aufklärungspflichten geltend. Wäre er über die Risiken hinreichend aufgeklärt worden, hätte er dem Eingriff nicht zugestimmt.
Entscheidung des OLG Brandenburg
Das OLG sieht eine Haftung als nicht gegeben an. Zwar sei ein Eingriff ohne Einwilligung grundsätzlich rechtswidrig und der aufklärungspflichtige Arzt habe nachzuweisen, dass der die geschuldete Aufklärung erbracht habe. Dass ein Aufklärungsgespräch stattgefunden hatte, war unstreitig. Darauf, ob auch das Risiko einer Darmöffnung oder eines Darmverschlusses angesprochen worden sei, komme es hierbei aber nicht an, da nach den Grundsätzen der hypothetischen Einwilligung davon ausgegangen werden könne, dass der Patient auch bei ordnungsgemäßer/vollständiger Aufklärung eingewilligt hätte.
Es hätte dem Kläger oblegen, nachvollziehbar glaubhaft zu machen, dass er dem Eingriff nicht zugestimmt hätte. An diese Glaubhaftmachung seien zwar keine allzu hohen Anforderungen zu stellen, erforderlich sei aber eine ernsthafte – nicht nur pauschale – Darlegung seiner potenziellen Abwägungsentscheidung.
Dies konnte das OLG im vorliegenden Fall nicht feststellen: Zum einen habe der Kläger Kenntnis von den typischen Risiken des Eingriffs gehabt (etwa Nerven-, Darm- und Gefäßläsionen), deren Wahrscheinlichkeit gegenüber dem Eintritt eines Darmverschlusses erheblich höher ist und gleichwohl keinen Anlass gesehen, von der Operation Abstand zu nehmen. Zum anderen habe keine Alternative zu dem Eingriff bestanden, eine Unterlassung hätte lebensbedrohliche Folgen haben können. Vor diesem Hintergrund sei kein Entscheidungskonflikt glaubhaft gemacht; vielmehr müsse auch angesichts der Tatsache, dass der Kläger dies auch in der mündlichen Verhandlung eingeräumt habe, von einer Zustimmung zur Operation auch bei Kenntnis des Risikos eines Darmverschlusses ausgegangen werden.
Fazit:
Diese Entscheidung beinhaltet auf den ersten Blick keine Überraschung, sondern folgt den zwingenden Regeln der Logik. Dennoch ist sie für die Beurteilung von Arzthaftungsfällen wichtig, da sie die Frage der Maßstäbe für die hypothetische Einwilligung und die Anforderungen an die Glaubhaftmachung eines Entscheidungskonflikts – jedenfalls für den konkreten Einzelfall – anschaulich illustriert.
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